Gottesdienst ganz anders. Ein Selbstversuch. Von Rüdiger Jope
Ein Februarabend. Evangelisches Krankenhaus Witten. Von der Wand begrüßt mich Jesus. Er legt seine Hände um einen Kranken. Menschen strömen mit Rollen und Kissen unter dem Arm in die geöffnete Tür, aus der sich Klavierklänge ergießen.
Mitten aus dem Leben
Kaum habe ich meine Rolle ausgelegt, begrüßt mich die einladende, warme Stimme von Pia Wick. „Herzlich Willkommen zum Yoga-Gottesdienst. Wir feiern diese Gottesdienst im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ 35 Frauen und Männern sind hier, um Gott an Leib und Seele zu erfahren, sich von ihm berühren zu lassen. „Dankbarkeit im Leben und im Sterben“ lautet das Thema des Abends. „Ein Yoga-Gottesdienst mitten aus dem Leben. Er tröstet uns, zeigt uns aber auch die Spannung auf, in der wir leben. Diese Spannungen, die wir mitgebracht haben, dürfen in den Frieden Gottes kommen“, sagt die 59-Jährige. Eine leise Stimme mit Schweizer Akzent übernimmt das Wort. Prof. Dr. Peter Wick, ebenfalls sitzend auf der Iso-Matte. In Jogginghose und T-Shirt. Er lädt ein, zur Dankbarkeit, „nicht für das Dunkle und Schreckliche, sondern, dass wir darin in Gottes Hand gehalten sind“. Er stellt das Bibelwort „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Römer 14,8) in den Raum. „Danken ist einer der schönsten Wege, um uns mit Gott in Beziehung zu setzen. Gott hat sich in Jesus Christus mit uns bleibend verbunden. In ihm wird Gott zum Du. Sein Stecken und Stab trösten uns. Wir sind Gottes. Niemand kann uns aus dieser Einbettung der Liebe herausreisen.“
Dann folgt ein Klangzauber. Der Musiker Christin Schnarr intoniert „Du bist ein wunderbarer Hirt“. Pia ermuntert zum Aufstehen. Hier wird mit dem ganze Körper gebetet. „In dir Gott verwurzelt gestalte ich diese Zeit“, spricht die Vorbeterin. „In dir Gott verwurzelt gestalte ich diese Zeit“, sprechen alle im Chor. „Ich bin dankbar, dass ich da bin.“ … „Ich werde eine Schale, bereit zu empfangen und bereit zu geben.“ … „Lass mich die Spannungen aushalten, die diese Zeit mit sich bringt.“ … „Schenke mir deine Kraft.“ … „So kann ich meine Ängste und Sorgen bei dir ablegen.“ … „Ich verneige mich vor dir.“ … „Lass mich aufmerksam sein und deine Stimme aus den vielen herauszuhören.“ … „Aus deiner Mitte möchte ich leben.“ ... „Amen“. Wir stimmen ein in „Ubi caritas“.
Eingebettet in Liebe und Übungen
Eingebettet in diese göttliche Liebe sind wir eingeladen, uns selber zu spüren, um das, „was wir wahrnehmen auch Gott hinhalten zu können“, so Pia Wick. Wir checken bei uns ein. „Wie geht es uns gerade?“ „Wo sind meine Gedanken. Komm mit deiner Aufmerksamkeit in deine Zehen, deine Unterschenkel an…“ „Spüre deinen Schulter, deine Hände und Arme.“ „Wie geht es deinem Körper gerade? Ist er müde oder voller Energie?“ Wir strecken die Arme nach oben, atmen tief ein. Geleitet von wertschätzenden Worten dehnen und entspannen wir uns von den Zehen bis in die Haarspitzen. „Der Rücken wird rund. Du hebst den Kopf wieder an. Ausatmen. Jede Einatmung richtet dich auf!“ Aufgerichtet kommen wir wieder ins Stehen. Wir singen: „Wenn die Last der Welt dir zu schaffen macht, hört er dein Gebet…“ Es gilt sich „von Gott ermutigen zu lassen und zu erleben, dass wir in seiner Liebe fest gegründet sind“, so die Lehrerin. Ruhig schiebt sie nach: „Stell dich hüftbreit hin. Lockere deine Kniee. Spüre die Verbundenheit…“
In allen Körperübungen geht es entspannt zu. Jede und jeder in seinem Tempo und seinem Können. Geistliches Yoga ist frei von jeglichem Leistungsprinzip, hier wacht der Sportlehrer oder Fitnessguru nicht mit gestrengen Blick, hier kann Frau und Mann einfach sein. Inzwischen liege ich auf dem Rücken. Eine neue Wirklichkeit tut sich auf. „So hast du die Kirche noch nie gesehen.“ „Spüre die Schwere, beurteile und bewerte nicht, was du gerade spürst.“ „Gott will Neues in dir schaffen, halte nicht dagegen, nimm noch einen tiefen Atemzug.“ „Alles, was uns jetzt im Herzen bewegt, bringen wir vor Gott in der Fürbitte: Vater, hier stehen wir mit all dem, was uns beschäftigt...“ Das Vaterunser wird Mithilfe von Körperbewegungen gebetet. Im Sitzen nehmen wir eine bequeme Position ein. Peter Wick lädt ein, zu fünf Minuten Schweigen mit den Sätzen „Gott ich bin hier“ oder „Jesus Christus erbarme dich über mich.“ Ein musikalisches Medley holt uns zurück ins Jetzt. Der Professor spricht einen Segen, dann werden nach knapp 90 Minuten die Matten zusammengerollt.
Das war ein Gottesdienst, der mir an Leib & Seele gutgetan hat.
In einer Lebenskrise Gott Ganzheitlich erfahren
Ich frage bei Pia Wick nach, wie sie auf diesen Dreiklang von Körper, Geist und Seele kam. Zwei persönliche Schicksalsschläge ließen in ihr die Frage aufkeimen: „Was sagt die Bibel zum Leid, was sagt die Bibel zum Körper?“ In dieser Krise half ihr Yoga, den Verlustschmerz unter die Füße zu nehmen. Und „ich begann Stück für Stück die hilfreichen Übungen mit Bibelworten zu verbinden. Am Alten konnte ich nicht mehr festhalten, Gott loslassen war auch keine Option, aber es ergab sich Raum für Neues.“ Dabei erlebte sie „wie alles zusammenzustreben begann“, bis es schließlich in ihr zu einem „Ganzen verschmolz“ und ihren einen ganzheitlichen, neuen Zugang zu Gott verschaffte. Und das kommt an in den Menschen. „Ich nehme Energie, Frieden und Zuversicht mit in die neue Woche“, sagt mir Klaus lachend. Gudrun lächelt und meint: „Das war ein Gottesdienst, der mir an Leib & Seele gutgetan hat. Ich gehe mit einem positiven Grundgefühl nachhause.“ Heike nimmt strahlend „ganz viel Gelassenheit mit.“ Sie mag diese „unaufgeregten, ganzheitlichen Gottesdienste, weil sie mir viel Ruhe im alltäglichen Chaos verschaffen, mich stärken und mir im besten Sinne Flügel für meinen Alltag verleihen.“
Ich stehe wieder vor der Tür. Ich habe die Christusfigur im Rücken. Gefühlt flüstert sie mir zu: „Nimm deine Matte unter den Arm. Geh. Entlastet und beflügelt.“
Mehr zu Yoga-Gottesdiensten findet sich hier: https://www.sela-yoga.de