„Mission ohne Evangelisation ist keine Mission“

Veröffentlicht in Fröhlich scheitern Mission im Wandel am

„Mission ohne Evangelisation ist keine Mission“

Fünf Kennzeichen von Mission. Nachgefragt bei Prof. Dr. Johannes Zimmermann

Was bedeutet für Sie „Mission“?

Mission bedeutet „Sendung“ und meint Gottes „Sendung“ (lateinisch: missio Dei), seine liebevolle Zuwendung zu dieser Welt und den Menschen, die er geschaffen hat. Die Kirche, die Gemeinde Jesu ist nicht „Veranstalterin“, sondern beauftragt, Teil dieser „Sendung Gottes“ zu sein, die auf den Menschen in allen seinen Bezügen zielt. So wie Gottes Liebe den ganzen Menschen einschließt, wendet sich Mission dem ganzen Menschen zu.

Mit der Unterscheidung von Mission und Evangelisation tun sich viele schwer.

Auch wenn „Mission“ und „Evangelisation“ häufig mit derselben Bedeutung verwendet werden, ist eine theologische Unterscheidung sinnvoll. Mission ist dabei der weitere Begriff. Gottes „Sendung“ richtet sich an den ganzen Menschen, um Gesundheit und Wohlbefinden, um Gerechtigkeit und Bildung. Damit diese nicht profillos wird, gehört zur Mission notwendig die Evangelisation, die Verkündigung des Evangeliums, die auf die Antwort des Glaubens zielt.

Beide Begriffe sind im allgemeinen Sprachgebrauch oft umstritten und werden teilweise scharf abgelehnt.

Ja und nein. Wir begegnen beidem: Mission kann als eine Art religiöser Hausfriedensbruch gesehen werden. Daneben gibt es einen unbedenklichen Gebrauch von Mission: Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft reden von ihrer „Mission“. Im Alltag gilt es abzuwägen, wo der Begriff von der Sache her nötig ist und wo es dem Anliegen der Mission dient, den Begriff in der Kommunikation nach außen sparsam zu verwenden.

In welchem Verhältnis stehen Evangelisation und Mission?

Evangelisation ist ein Teilbereich der Mission, und zugleich „Kern, Herz und Zentrum der Mission“ (D. Bosch). Das heißt: Einer Mission ohne Evangelisation würde das Zentrum fehlen, übrig bliebe Sozialarbeit mit christlichem Anstrich. Umgekehrt braucht die Evangelisation die Einbettung in die Weite der Mission, um nicht den Eindruck zu erwecken, es gehe „nur“ um Worte und Gedanken.

Eine Definition, die mich in diesem Zusammenhang überzeugt, sind die five Marks of Mission, die die anglikanische Kirche formuliert hat. Was ist unter diesen fünf Kennzeichen von Mission zu verstehen?

Das Angelican Consultive Council hat sie 1984 verabschiedet, um zusammenfassend darzulegen, was Mission ist. Bis heute stellt dieses Papier einen Grundkonsens in der Angelikanischen Kirche dar. Im Zentrum steht der Auftrag, die „gute Nachricht vom Königreich Gottes zu verkünden“. Damit wird die Verbindung zur Wortbedeutung von Evangelisation hergestellt. Evangelium ist im Alten Testament die Nachricht vom Regierungsantritt Gottes, von seiner Königsherrschaft (Jes 52,7ff; Ps 96 u. ö.). Diese Linie geht im Neuen Testament weiter: Jesus verkündigt das „Evangelium Gottes“ (Mk 1,14f). Nach Ostern wird daraus das „Evangelium von Jesus Christus“; die die Verbindung von Evangelium und Königsherrschaft Gottes wird inhaltlich gefüllt mit Jesus, seinem Leben, Sterben und seiner Auferstehung. Es ist grundlegend, dass über dem gesamten Auftrag von Mission und Evangelisation die Königsherrschaft Gottes als Rahmen und Inhalt steht.

Das zweite Kennzeichen geht dabei einen Schritt weiter …

Es geht darum, „neue Glaubende zu „lehren, taufen und nähren/fördern“ (engl. „to nurture“). Der enge Bezug zum Missionsauftrag in Matthäus 28,16-20 wird deutlich: „Macht zu Jüngern alle Völker, tauft sie… und lehret sie halten, alles, was ich euch geboten habe.“ Es geht darum, Glaubende auf einem Weg zu begleiten, Jünger (wörtlich: Schüler) von Jesus zu werden mit dem Ziel, selbst wieder zu Boten werden.

Die drei weiteren Kennzeichen könnten manche überraschen, weil man sie gar nicht direkt mit Mission verbindet.

Nur auf den ersten Blick! Auf menschliche Nöte durch Liebe zu antworten, ist Auftrag der Diakonie. So wie die Zuwendung Gottes den Menschen in allen seinen Bezügen einschließt, wendet sich auch die Diakonie (wörtlich: „Dienst“) Menschen in ihrer Gesamtheit zu. Dazu gehört, dass ich anderen diene, menschliche Nöte wahrnehme: Einsamkeit, Hunger, Krankheit, Verzweiflung, aber auch seelische Nöte bis hin zur größten Not, der Entfremdung von Gott. Vom einzelnen Menschen weitet sich der Blick zu den gesellschaftlichen Fragen von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Gottes Reich zielt auf das Ganze und lässt sich nicht auf die Innerlichkeit begrenzen.

Das heißt, dass nach anglikanischem Verständnis Mission nicht nur individuell zu verstehen ist?

Ja. Es geht bei der Königsherrschaft Gottes eben nicht nur um Individuen, sondern darum, die ganze Erde zu erneuern – im klaren Wissen, dass wir das letztlich nicht tun können. Die wahre „Zeitenwende“, die den am Christfest verheißenen „Frieden auf Erden“ bringen wird, ist allein Gottes Werk. Wir sind gesandt, als Boten die nahende Herrschaft Gottes zu verkündigen, zur Umkehr zu rufen und zum Glauben einzuladen und so in Wort und Tat dazu beizutragen, dass „Vorzeichen“ der Herrschaft Gottes erfahrbar werden: Menschen werden heil, leben in Frieden mit Gott und ihren Mitmenschen, Versöhnung breitet sich aus. Ich vergleiche es gerne mit einem Film-Trailer: Der Trailer ist ganz Film, aber es ist noch nicht der ganze Film. Wer den Trailer sieht, soll so angerührt sein, dass er sagt: „Ich will den ganzen Film sehen“. Das ist der Auftrag der Kirche und der Christen in der Gegenwart: So zu leben, dass Gottes Liebe erfahrbar wird. In aller Vorläufigkeit, aber doch so, dass Menschen sagen: Wenn das die Vorzeichen der Herrschaft Gottes sind, dann will ich dabei sein.

Immer wieder berichten mir Ehrenamtliche, dass sie sich schwertun ihren Glauben in Worte zu fassen. Braucht es da Kurse zur Sprachfähigkeit des Glaubens?

Sprachfähigkeit im Glauben ist ein wichtiges Anliegen, aber es geht um mehr als um Fragen einer angemessenen Formulierung. Noch wichtiger ist, dass die Menschen, denen ich begegne, merken: „Es geht nicht um Mitgliedergewinnung für eine Organisation, sondern es geht um mich als Mensch!“ Beim Evangelium geht es darum, dass sich Gott dem einzelnen Menschen zuwendet. Wo Menschen das erleben, werden auch die passenden Worte sich finden lassen. Von diesem Ziel her können Wege zum Glauben kreativ und phantasievoll gestaltet werden.

Evangelisation wird im deutschen Umfeld stark mit Veranstaltungen verbunden. Ich denke an ProChrist und Zeltevangelisationen. Ist die Zeit der „Aufrufe zum Kreuz“ nicht vorbei?

Viele machen die Erfahrung, dass es im Zeitalter der Massenmedien und des Internets schwerer geworden ist, Menschen für Veranstaltungen zu gewinnen. Ich würde aber nicht grundsätzlich sagen, dass es nicht mehr geht. Es gibt nach wie vor Orte, wo Gemeinden in Kontakt mit Menschen sind und wo die Evangelisation in Veranstaltungsform sinnvoll und hilfreich ist. Um Menschen auf längeren Wegen und Umwegen zum Glauben zu begleiten, reichen Einzelveranstaltungen nicht aus. Im Englischen wird zwischen evangelisation und evangelism unterschieden. Evangelisation bezeichnet die Veranstaltungsform, evangelism den grundlegenden Auftrag, Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Die Unterscheidung ist wichtig, weil Evangelisation mehr ist eine ein Veranstaltungsformat.

An was denken Sie konkret? Welche Formate braucht es da?

Ziel ist es, Menschen auf dem Weg zum Glauben zu begleiten. Der Beitrag von Veranstaltungen kann sich dabei ändern. Ein Beispiel sind Kinderbibelwochen. Früher erfolgte oft direkt die Einladung zum Glauben. Hier kann es heißen „Wir müssen zuerst Grundlagen legen“. Das schließt die direkte Einladung nicht aus, aber der Weg dazu ist oft ein längerer. Das zeigt sich auch bei Kursen, die versuchen, einen Weg mit Menschen zu gehen, auf dem über mehrere Wochen hinweg Glaube wachsen und reifen kann. Alles an einem Abend machen zu wollen, das ist eine Überforderung, wenn da nicht vorher schon geistlich etwas stattgefunden hat. Neben Evangelisationen wie proChrist können Gottesdienste treten, Bibelgesprächsgruppen, persönliche Kontakte, Musikgruppen und Chöre, Bildungsangebote, diakonische Angebote und Vieles mehr. Alles das kann eine evangelistische Dimension bekommen.

Welche Alternativen gibt es?

Viel zu oft, dachte man: „Welche Veranstaltungen müssen wir anbieten, damit Menschen zum Glauben kommen?“ Veranstaltungen sind ein wichtiger Beitrag, aber nicht alles. Im katholischen Kontext wurde das Bild vom Sämann dafür genommen: Nur nach „Sämanns-Kompetenzen“ zu fragen, reicht nicht aus. Wichtig ist die Frage: Was braucht die Saat, damit sie keimen, aufgehen, wachsen kann? Wir sollten daher nicht nur fragen: Was kann Kirche machen? sondern die Perspektive umkehren und fragen: Was braucht ein Mensch, damit das Evangelium in ihm Wurzeln schlagen, keimen, aufgehen und Frucht bringen kann?

Brauchen wir eher „Komm“- oder „Geh-„Strukturen in Zukunft?

Je weniger wir mit traditionellen Formate Menschen erreichen, umso mehr brauchen wir neue, innovative Formen, die nach außen gehen und Menschen in ihrer Lebenswelt ansprechen. Zugleich gibt es die Erfahrung, dass für Menschen, die ganz außerhalb der Kirche stehen, auch „klassische“ Angebot wie Gottesdienste eher mit Kirche verbunden werden und zielgruppenspezifische Veranstaltungen sich schwer tun können, die entsprechende Zielgruppe zu erreichen. In diesem Fall kommt es darauf an, dass ein Gottesdienst so gestaltet ist, dass der „fremde Gast“ Gastfreundschaft erfährt und das Evangelium so hören kann, dass es ihn anspricht.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


The mission of the Church is the mission of Christ

  • To proclaim the Good News of the KingdomTo teach, baptise and nurture new believersTo respond to human need by loving serviceTo transform unjust structures of society, to challenge violence of every kind and pursue peace and reconciliationTo strive to safeguard the integrity of creation, and sustain and renew the life of the earth
Johannes Zimmermann

Prof. Dr. Johannes Zimmermann ist Dekan des Kirchenbezirks Vaihingen-Ditzingen(Evangelische Landeskirche in Württemberg) und war zuvor als Gemeindepfarrer in Endingen und in der theologischen Forschung am IEEG in Greifswald sowie als Professor für Praktische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg tätig.

Titelfoto von Nathan Dumlao auf Unsplash

Autor:in(nen)

Andreas Schmierer

Andreas Schmierer ist Studienassistent im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen und dort für Praktische Theologie und die Studienbegleitung junger Theologen zuständig. Ehrenamtlich engagiert er sich im 3E-Redaktionsteam und der Prädikantenarbeit.

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