Seit ich klein war, gab es sie. Die beiden Welten. Die tagtägliche Welt und die kirchliche von donnerstags, wenn Jugendgruppe war. Und so einen komischen grauen Streifen dazwischen. Als meine Eltern zum Beispiel anfingen, in den Gottesdienst zu gehen während meines Konfirmationsunterrichtes. In der kirchlichen Welt hatte ich kirchliche Freund:innen. Jugendgruppe. Zeltlager. All sowas, wovon heute Menschen um die Sechzig feuchte Augen kriegen, wenn sie von früher sprechen. In der Welt da draußen, in der Schule und mit einem Großteil meiner Familie spielte dies nur eine untergeordnete Rolle.
Drinnen und Draußen zusammenbringen
Es war an mir, das irgendwie zusammenzubringen, kein Doppelleben zu führen, sondern ein stimmiges Gesamtbild zu entwerfen. Heraus kam die Sehnsucht nach einer Kirche, die auch für die da draußen relevant ist. Nicht im Sinne eines missionarischen Eifers, sondern in der Überzeugung, dass meine Menschen aus der Schule eigentlich selber auch einen Glauben an Übernatürliches hatten – schließlich hatten sie auch damals schon Glücksbringer dabei, haben geglaubt, dass ihr Verein verloren hat, weil sie nicht im Stadion waren und zündeten keine Zigaretten an Kerzen an. Oft ist dieser Brückenschlag nicht geglückt, und je weiter ich mich in den folgenden Jahrzehnten theologisch und fachlich entwickelt habe, desto stärker habe ich gemerkt, dass dies nicht allein mir so ging, sondern dass das der Grundzustand der Kirche ist. So viele Diskussionen sind so furchtbar binnenkirchlich. Der Abstand zwischen der Kirche und den Menschen wird – bis auf wenige Ausnahmen – dabei eher größer als kleiner. Denn während vor 30 Jahren, als ich Teenager war, noch viele Menschen irgendwie daran andocken konnten, was ich erzählte, hatten sie doch noch so eine Art kulturell überliefertes biblisches und liturgisches Basiswissen, während es also früher noch Brücken gab, werden diese zunehmend weniger, dünner, löchriger. Und so stehe ich einigermaßen ratlos vor vielen Bestrebungen. Es gibt tatsächlich viele tolle Ansätze zum Aufbruch, die aber meiner Meinung nach nicht nach draußen führen. Neue Formen der Predigt sind großartig – die Menschen, die ich vor Augen habe, kommen aber noch nicht mal in die Nähe des Formates. Gleiches gilt für neue Lieder. Zur Stärkung des kirchlichen Fortbestehens aus dem Kern der Mitglieder heraus sind sie sinnvoll, um vielleicht die Konfis zu erreichen, die sich dann nicht alle abwenden – über diesen Raum hinaus hat es aber zu wenig Wirkung.
Wir bleiben zu sehr unter uns
Ein wenig Hoffnung gibt es dennoch: FreshX ist ein Ansatz, bei dem ich das erste Mal den Eindruck hatte, wirklich neue Menschen jenseits der Ränder der Kirche anzusprechen. Gesamtkirchlich sind wir aber in unseren Ansätzen noch immer viel zu stark auf unserer Seite unterwegs. Als würde man gegen die Wand der Blase rennen, die sich dann auch ein wenig dehnt, am Ende aber kein Durchkommen bietet. Und je mehr wir merken, dass wir nicht ankommen, desto stärker stürzen wir uns in innerkirchliche Belange und diskutieren darüber, wie es wieder so werden kann wie in einer Vergangenheit, die es so nie gab. Als Gemeindepfarrer führe ich diese Kämpfe ständig. Da wird das Kirchenkaffeetrinken ins Gemeindehaus verlegt, weil man da so gemütlich „unter uns“ ist. Und auch jenseits meiner kleinen Arbeitswelt gibt es das: Da werden wahnsinnige Ressourcen in den Erhalt einer Struktur gesteckt, die nur noch dadurch funktioniert, dass die Altersgrenze für Presbyteriumsmenschen hochgesetzt worden ist. Es wird intensiv daran gearbeitet, das Abendmahl, die Liturgie, biblische Stammbäume zu erklären, ohne zu realisieren, dass in der anderen Hälfte (wäre es mal nur die Hälfte) der Republik all dies nur mit einem müden Schulterzucken wahrgenommen wird, ja falls es überhaupt wahrgenommen wird. Derweil werden an Weihnachten die Kirchen leerer und jeden Monat die Austrittslisten (zumindest in unserer Landeskirche) voller. Wohin geht unser Eifer? Das frage ich mich. Habe dabei ein wenig das Gefühl, mir den Mund fusselig zu reden, die Finger wund zu schreiben mit Dingen, die in jedem Unternehmen alle roten Lampen leuchten lassen würden. Natürlich. Wir sind kein Unternehmen. Wir könnten aber doch mal so tun und stärker von denen her denken, die uns als relevant wahrnehmen dürfen. Dann bräuchte es einen wirklichen Aufbruch.
So viele Diskussionen sind so furchtbar binnenkirchlich.
Kleine Schritte sind zu erkennen: Segensbüros, neue Gemeindeformen. Erste Risse in der festen Burg, die unsere Kirche ist. Wir brauchen aber mehr. Viel mehr. Mehr Kreative mit mehr Freiheiten. Mehr Mut mit mehr Loslassen. Mehr Beweglichkeit mit mehr Lust, die Welt zu umarmen. Mehr Vertrauen darein, dass jene Welt außerhalb unserer Kirche gut gemacht ist. Dass diese Menschen nichts wollen als uns von Gott zu erzählen. Denn das tun sie. In allen ihren Lebensäußerungen bringen sie jenen Gott zu uns, der sie geschaffen hat. Wir aber hören das so wenig. Weil das natürlich anstrengend ist. Weil das Kraft kostet. Weil es uns schwach dastehen lässt, wenn wir unser Scheitern eingestehen. Aber ist nicht Seine Kraft in den Schwachen mächtig? Dann lasst uns zu unserer Schwachheit stehen. Lasst uns sehen, dass wir keine Antworten auf Lager haben. Und dann Antworten suchen. Mit den Menschen dort drüben. Mit Gottes Kraft, die uns als Kirche überhaupt erst ins Leben brachte. Mit großen Ohren und weiten Herzen. Demütig in die Welt gehen, um Gott zu finden. Bei den Menschen.
Loslassen und Umziehen
Denn wenn wir hören. Und daraus bauen. Und mutig sind. Und das tun, was Menschen als Bedürfnisse, als Anspruch an uns formulieren, dann könnte es doch sein, dass wir loslassen lernen. Wie wenn man umzieht. Erstmal fällt es einem schwer, zu gehen. Je mehr man sich aber dort, am neuen Ort, einlebt, desto weniger schmerzt, was uns kurz zuvor noch unaufgebbar schien. Wer Neues erlebt und merkt, dass das funktioniert, der merkt auf einmal, dass die Identität nicht an all dem Alten hängt. Der kann sich konzentrieren. Dinge bewahren, die wirklich bewahrenswert sind, und nicht angststarr alles mögliche an sich klammern wie ein Messy, der die Unterscheidung zwischen Notwendigem und Überflüssigem verlernt hat. Das haben wir nicht nötig. Wir dürfen frei und leicht werden, wie Jesus selbst das vorgemacht hat. Leicht genug, um über den Graben zur Wirklichkeit all jener zu springen, die uns einfach nicht mehr verstehen, ja nichtmal mehr verstehen wollen. Und fragend auf sie zuzugehen. Und sagen: Hier bin ich. Lebendig. Endlich wieder.
Foto von Jon Eric Marababol auf Unsplash