Ich bin ein Gast auf Erden.

Aspekte biblischer Gastfreundschaft

Gastfreundschaft ist in erster Linie eine sinnliche Erfahrung, die lange über den Augenblick hinaus wirkt. Durch eine besondere Atmosphäre öffnen sich die Herzen. Es sind gerade diese schlichten Begegnungen, die in meinem Leben einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Gerade dort, wo unterschiedliche Menschen - Arme und Reiche, Gebildete und Bildungsbenachteiligte - sich auf einer sehr elementaren Ebene begegnen, kommt es für alle Beteiligten zu intensiven Erlebnissen. Ich fühle mich reich beschenkt durch solche Begegnungen.

Die Bibel fordert uns auf: "Seid gastfrei untereinander ohne Murren" (1. Petr. 4,9). Ein weiser Mensch hat einmal gesagt: "Gastfreundschaft ist kein Programm, sondern geteiltes Leben. Sie erwächst aus Lebensfreude, Einfachheit und Bescheidenheit." Gastfreundschaft gehört zu den ältesten Werten der Menschheit. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die Zeit umherziehender Nomadenvölker in den Ländern des Orients. Jahrhunderte später bewahrten die Klöster Gastfreundschaft als hohes Gut, denn häufig klopften Pilger an die Klostertüren und baten um Aufnahme.

Auch unser modernes Leben hat etwas Nomadenhaftes. Vielen ist Fremdheit und Anonymität ein vertrautes Gefühl. Das Leben ist heute stark durch Reisen und Mobilität gekennzeichnet. Viele verstehen sogar ihr Leben symbolisch als Reise. Wo das Pilgern auf ein fernes Ziel hin Ausdruck menschlicher Existenz ist nimmt Gastfreundschaft eine zentrale Position ein. Denn je mehr das Vorüber-Gehende zum Normalfall menschlichen Lebens wird, desto wichtiger werden gastliche Orte, an denen Menschen eine Zeit lang verweilen und sich wohlfühlen können. Solche Rastplätze an den Wegen der Menschen wollen christliche Cafés sein.

Zum Wesen der Gastfreundschaft gehört die Bereitschaft, sich auf andere Ansichten und Lebensstile einzulassen. Sie erschöpft sich nicht darin, einem Fremden nur sein Haus zu öffnen - es bedeutet vielmehr, sein Herz zu öffnen, sich mit seiner ganzen Person einzubringen. Gastfreundschaft ist in erster Linie Ausdruck von Lebensfreude. Dann kann sie zum Schlüssel werden für besondere Begegnungen, die lange nachwirken können.

In Gesprächen bei Tisch werden manchmal die Grundfragen des Lebens berührt. Von Platon heißt es, dass er seine Philosophie bei Gastmahlen entwickelte. Die Bibel berichtet davon, dass Jesus sich bei Menschen zum Essen einlud. Gerade dadurch entstand eine Vertrautheit, in der sich Menschen öffneten und die liebende Zuwendung Gottes erlebten. Wir glauben, dass gelebte Gastfreundschaft heute eine wichtige Brücke zur Freundschaft mit Gott sein und eine Ahnung vom "großen Zuhause" bieten kann.

Leiterinnen und Leiter christlicher Cafés ermutigen ihre Ehrenamtlichen darin, eine innere Haltung der Gastfreundschaft einzuüben. Echtes Interesse am Anderen und innere Beweglichkeit sind wichtige Voraussetzungen. Es tut gut, sich selbst mal in verschiedene Rollen zu begeben und Erfahrungen als Gast oder als Gastgeberin zu sammeln: Wo und warum hat man sich selbst als Gast wohlgefühlt; warum hingegen hat man andernorts schnell das Weite gesucht? Wie kann man aus solchen Erlebnissen für die eigene Caféarbeit lernen? - Dann geraten womöglich Dinge wie Sauberkeit, die ´Kunst des Small-Talks`, die Kenntnis von Grundregeln der Körpersprache und der Distanzzonen, das Auftreten oder die Wahl der passenden Kleidung ins Blickfeld.

Gastfreundschaft schafft einen Raum für Begegnungen untereinander - und mit Gott. Sie ist nichts Aufgesetztes, sondern sollte unser ganzes Leben bestimmen. Unsere Gastfreundschaft beginnt deshalb nicht erst an den Türen unserer Cafés, sondern in unserem ganz normalen Leben, das so ausstrahlen soll, dass Menschen sich einladen lassen an unsere Treffpunkte und vielleicht dann auch in die Beziehung zu Gott. Wo Gastfreundschaft gelebt wird, prägt sie die Kultur und die Atmosphäre eines Ortes maßgeblich. Manche Menschen haben eine ausgeprägte Gabe der Gastfreundschaft. Christliche Cafés leben davon, dass diese Menschen zum Zuge kommen. Gäste wollen das Gefühl vermittelt bekommen, dass man sich für sie interessiert. Unser Auftreten als Mitarbeitende christlicher Cafés müssen wir immer daran messen lassen, ob es Symbol ist für die Hinwendung des liebenden Gottes zu den Menschen.

Die ´Körpersprache` eines Cafés wird maßgeblich dadurch bestimmt, wie eine Café-Gemeinschaft miteinander umgeht. Manchmal sagt sie mehr über uns aus als uns lieb ist. Es passiert eben sehr leicht (vielleicht auch unbeabsichtigt) Menschen auszugrenzen oder andererseits das Recht eines Menschen auf Distanz zu missachten. Gerade als Botschafter Gottes müssen wir sensibel mit Gästen umgehen. Wie jede andere Gemeinschaft stehen auch Christen immer wieder in der Versuchung sich häuslich so einzurichten, dass die Bedürfnisse von Gästen aus dem Blick geraten oder dass Gästen Desinteresse entgegenschlägt. Gäste jedoch gesellen sich gern zu Menschen, denen abzuspüren ist, dass sie selbst an anderer Stelle gern zu Gast sind. Romano Guardini hat einmal gesagt: "Was Gastfreundschaft wert ist, kann nur der ermessen, der von draußen kommt, aus der Fremde."

Bei der Gastfreundschaft treten meine eigenen Interessen hinter die des Gastes zurück. Seine (oft unausgesprochenen) Bedürfnisse werden respektiert. Man sagt, ein guter Gastgeber erkennt den Wunsch eines Menschen auch ohne Worte. Besondere Begegnungen sind jene, wo mir als Gast die ungeteilte Aufmerksamkeit des Gastgebers zuteil wurde. Wo ich das erlebe, wird es mir ganz warm ums Herz und es fällt mir leicht, mich zu öffnen und persönlich zu werden. Einem solchen Gastgeber erlaube ich gern einen Zugang zu meinem Inneren.

Diese hohe Kunst ist nicht damit zu verwechseln zu meinen, was für mein Gegenüber gut ist. Wenn ich irgendwo zu Gast bin, empfinde ich nicht immer, dass es in erster Linie um mich als Gast geht. Oft sind deshalb feinfühlige Menschen, die in der Lage sind sich ganz auf die Situation eines Gastes einzulassen; ein großes Ohr und ein aufmunterndes oder erheiterndes Wort haben, hervorragende Gastgeber. In ihrer Art Gastfreundschaft zu leben spiegeln sie etwas von Gott wider, der unsere Sehnsüchte und Gedanken bereits kennt, bevor wir sie aussprechen.

Gottes Wesenszug selbst ist es gastfreundlich zu sein. Er hat eine große Sehnsucht danach, die Fremdheit zwischen ihm und uns Menschen zu überwinden. Gott sieht uns freundlich an. Er möchte nichts sehnlicher als unser Vertrauen gewinnen. Die Bibel berichtet an vielen Stellen darüber, dass Gott Gastfreundschaft als ´Landeplatz` nutzt, um im Leben eines Menschen etwas zum Positiven zu verändern. Eine bekannte Geschichte ist sicherlich die von Zachäus, bei dem Jesus einkehrt (Lk 19, 1-10). Eine weniger unter dem Aspekt der Gastfreundschaft betrachtete Situation wird im Alten Testament geschildert, wo der Prophet Elia von Gott zu einer Witwe nach Zarpat (Sarepta) geschickt wird (1. Kön. 17, 1-16). Eigentlich ist es eine Zumutung, dass Elia ausgerechnet die Gastfreundschaft einer Witwe, die mit dem Leben fast schon abgeschlossen hat und die selbst nichts mehr zu essen hat, in Anspruch nehmen soll. Aber die Geschichte steckt voller Überraschungen: Nicht nur die Witwe wird unverhofft zum Gastgeber; Gott selbst erweist sich als Gastgeber. Und sie beide machen die unerwartete Erfahrung, dass Segen in ihr Leben strömt.

Gastfreundschaft hat in der Bibel noch weitere Facetten. In der christlichen Tradition spielt das Abendmahl eine zentrale Rolle, wo Christen an den Tisch Gottes eingeladen sind. Interessant auch die doppelte seelsorgerliche Dimension der Gastfreundschaft, der Aspekt des Heilwerdens, wie eine Bibelstelle beim Propheten Jesaja verdeutlicht (Kap. 58, 7): "Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten." Es ist eine tolle Erfahrung, dass wer für Andere Gastgeber ist, selbst beschenkt wird! Nicht zuletzt deutet sich hier auch eine politische Dimension an.

Inspiriert hat mich ein Zitat von Fritz Schroth, langjähriger Leiter der Christlichen Gästehäuser in Bischofsheim (Rhön): "Gast-Freiheit gibt Raum und Weite. Gastfreiheit gibt Luft zum Atmen. Als Team der Gästehäuser wollen wir in einer vom Evangelium gewirkten Atmosphäre der Freiheit ansteckend leben. Gast-Freundschaft ist mehr, mehr als ein bloßes Wort. Gastfreundschaft ist der Horizont, in dem sich unsere ganze Arbeit abspielt. Gastfreundschaft lässt uns im anderen den von Gott geliebten und gesandten (!) Gast erkennen. Gastfreundschaft und Gastfreiheit gehören zusammen. Während Gastfreiheit Raum gibt, drückt das Wort Gastfreundschaft Nähe aus. Wo beides zusammen kommt, kann Leben entfaltet werden. Menschen werden nicht durch Systeme oder Institutionen, sondern durch Menschen angesprochen, und Leben kann nur durch Leben vermittelt werden."